15. Dezember 1931


Weihnachten

So fährt Deutschland weiter, gebannt an den Magnetberg der Weltkrise. Ein Haufen armer desperater Seelen auf morschen Planken gefangen; morgen ein Totenschiff.

Die gleiche Not, die alle schwächt, ist Hitlers Stärke. Der Nationalsozialismus bringt wenigstens die letzte Hoffnung von Verhungernden: den Kannibalismus. Man kann sich schließlich noch gegenseitig fressen. Das ist die fürchterliche Anziehungskraft dieser Heilslehre. Sie entspricht nicht nur den wachsenden barbarischen Instinkten einer Verelendungszeit, sie entspricht vor allem der Geistessturheit und politischen Ahnungslosigkeit jener versackenden Kleinbürgerklasse, die hinter Hitler marschiert. Diese Menschen haben auch in besseren Zeitläuften nie gefragt, immer nur gegafft. […]

Dann aber kommt die Stunde des Fascismus, dann wird die Hitler-Armee endlich etwas zu tun haben. Dann wird auch der Sieg des monopolisierten Kapitalismus vollkommen sein. Dann wird der SA-Landsknecht die Manneszucht in den Betrieben schon übernehmen. Dann werden die Gewerkschaften zertrümmert werden, und der deutsche Mann wird, befreit von dem unwürdigen Pariageist der gewerkschaftlichen Koalition und ihrem judäisch-marxistischen Tarifrecht, rank und schlank, hei, vor seinen Industrieherzog treten und ihm hochgemut seine Dienste als Kaufmann, Techniker oder Lampenputzer anbieten. Unter einer alten knorrigen westfälischen Eiche wird er seinem Lehnsherrn den Eid leisten, ihm allzeit treu, hold und gewärtig zu sein, und wer dann noch Geld sehen will, der wird erschossen. […]

So treibt Deutschland in Dunkelheit dahin, Verwesungsdünste steigen auf. Die eine Hälfte der Nation bettelt um Almosen, die andre muß es verweigern, weil sie selbst nichts hat.


aus: „Kommt Hitler doch ?“, in: Weltbühne, 15. Dezember 1931

 

 

Carl von Ossietzky, 1932