1. Dezember 1931


Prozeß

Ich weiß, dass jeder Journalist, der sich kritisch mit der Reichswehr beschäftigt, ein Landesverratsverfahren zu gewärtigen hat; das ist ein natürliches Berufsrisiko. Dennoch war diesmal für eine reizvolle Abwechslung gesorgt: wir verließen den Saal nicht als Landesverräter, sondern als Spione.

Anderthalb Jahre Freiheitsstrafe ? Es ist nicht so schlimm, denn es ist mit der Freiheit in Deutschland nicht weit her. Mählich verblassen die Unterschiede zwischen Eingesperrten und Nichteingesperrten. Jeder Publizist, der in bewegter Zeit seinem Gewissen folgt, weiß, dass er gefährdet lebt. Die beste politische Publizistik wurde stets heimlich in Dunkelkammern geschrieben, nächtlich an Mauern geklebt, während Denunzianten durch die Straßen schlichen und auf den großen Plätzen die Soldaten in Karrees standen. Wer, wie der Schriftsteller, an die immaterielle Kraft des in die Welt hinausgeschleuderten Wortes glaubt, der wird also nicht jammern, wenn dieses, Körper geworden, als Gummiknüppel oder Stahlmantel oder Gefängnishaft wieder auf ihn zurückprallt.

Gewiß, die Zeiten sind bewegt, aber die Justiz ist es gar nicht. Die politische Justiz namentlich trottet hinter der Zeit her, soweit sie nicht mit kühnem Sprung über die Gegenwart sich mit den Machthabern von morgen gut zu stehen sucht. [...]

Noch ist die Möglichkeit der Zusammenfassung aller antifascistischen Kräfte vorhanden. Noch ! Republikaner, Sozialisten und Kommunisten, in den großen Parteien Organisierte und Versprengte - lange werdet ihr nicht mehr die Chance haben, eure Entschlüsse in Freiheit zu fassen und nicht vor der Spitze der Bajonette.


aus: „Der Weltbühnen-Prozeß“,
in: Weltbühne, 1. Dezember 1931

 

 

Vor dem Landgericht III in Berlin während des Prozesses „Soldaten sind Mörder“ mit den Anwälten Rudolf Olden (links) und Alfred Apfel, 1. Juli 1932