Der Streit um den
Sergeanten Grischa

[…] Arnold Zweig, Producer, beehrt sich vorzuführen: ‹Der Streit um den Sergeanten Grischa› (bei Gustav Kiepenheuer, in Potsdam, o Ironie des Schicksals!) Ein Kriegsbuch? Ein Friedensbuch.

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Dem russischen Kriegsgefangenen Grischa Iljitsch Paprotkin glückt ein Fluchtversuch aus dem Lager, er irrt in den weiten Bezirken der Etappe Ober-Ost umher, stößt auf ein Häuflein von Marodeuren und Deserteuren; eine Frau gibt ihm Uniform und Erkennungsmarke eines russischen Soldaten, der in diesem Bezirk beheimatet gewesen ist; wenn Grischa gefaßt wird, soll er angeben, er sei durch die Front gekommen, um seine Eltern wiederzusehen ... Er wird gefaßt. Es ist ein Befehl da, wonach sich alle Russen, die durch die Front kommen, binnen drei Tagen bei einer deutschen Etappenbehörde melden müssen. Grischa hat das nicht getan. Er wird, getreu nach dem Befehl, von einem Divisionsgericht zum Tode verurteilt. Da erst erkennt er seine Lage, schreit, wehrt sich, sagt die Wahrheit: er sei er selbst, er sei Grischa, nicht der andre - er sei gar nicht von vorn gekommen, sondern aus einem Gefangenenlager entwischt ... Die Akten gehen an den Oberbefehlshaber.

Der Sergeant Grischa wird, obgleich er doch gar nicht unter jenen Befehl fällt, erschossen, weil Division und Oberkommando sich nicht riechen können, weil die beiden maßgebenden Offiziere sich im Aktengang anstänkern, weil Ressortkämpfe aufflackern, erlöschen, wieder aufbrennen ... Grischa steht am grasigen Abhang und wird, du deutsches Gemüt, er wird «umgelegt». Da liegt er. Und es ist gar nichts. Ein Russe, du lieber Gott ...

Daraus hat Arnold Zweig einen Roman gemacht. Wie er in der Nachbemerkung angibt, ist die zugrunde liegende Geschichte wahr. Das wundert keinen, der die Preußen kennt. […]

Über die Gesinnung des tapfern Friedenssoldaten Arnold Zweig ist nicht zu reden. Das Buch könnte, bei stärkster pazifistischer Wirkung, schwach sein - es ist sehr stark. Es wird wahrscheinlich mehr Menschen zum Nachdenken über das Wesen des Krieges bringen als alle Propagandaaufsätze der letzten Jahre - es bohrt sehr tief und wendet sich an ganz einfache Empfindungen; es sagt gewissermaßen: «Wir beide wollen uns doch nichts vormachen, wie -?» Endlich einmal wird der Krieg gar nicht diskutiert, sondern mit einer solchen Selbstverständlichkeit abgelehnt, wie er und seine Schlächter das verdienen. Erst heute -? […]

Warum wird der Roman von Zweig überall gekauft? Weil er ein anständiges Stück Ware ist. Weil er gut gearbeitet ist. Weil das Publikum einen fast untrüglichen Instinkt für sorgsame Mühe hat (die ein Künstler sich gibt) - weil keine Seite, kein Satz hingeschwindelt ist. […]

Arnold Zweig hat das beste deutsche Kriegsbuch geschrieben - immer neben Vogels ‹Es lebe der Krieg!›. Das deutsche Kriegsbuch ist noch nicht geschrieben. […]

Arnold Zweig unsern Gruß! Sein Buch ist voll wärmster Güte und voller Mitgefühl, voller Skeptizismus und voller Anständigkeit, voller Verständnis und oft voller Humor. […]

Dieser ‹Streit um den Sergeanten Grischa› ist ein schönes Buch und ein Meilenstein auf dem Wege zum Frieden.“

Peter Panter
Die WeltbÜhne, 13. Dezember 1927

 

Arnold Zweig:
Der Streit um den Sergeanten Grischa (1927)