27. Dezember 1927


Sitzredakteur

Also Prison [Gefängnis]. Wir sind nicht pathetisch genug veranlagt, das zum Anlaß zu nehmen, die Hände zum Himmel zu recken, wo unveräußerlich die ewigen Rechte wohnen; wir haben Freunde und Sekundanten, wir sind nicht wehrlos, und, vor allem, wir sind illusionslos. […]

Und so bin ich vorbestraft. Man soll, wenn man mit der Justiz zu tun hat, ein für allemal großartige Gesten vermeiden. […]

Im äußersten Fall sitzt man die Strafe ab in dem Bewusstsein, dass eine in solcher Form auferlegte und mit solcher Argumentation servierte Pönitenz nicht die Haut ritzt. Jeder Publizist, der mit ganzem Herzen für eine Sache eintritt, wird mit Empörung eine Drohung auf die Zukunft ablehnen. Man mag uns verurteilen heute, morgen, übermorgen, wir werden es hinnehmen, aber unser Stolz wird sein, nicht „gebessert“, sondern nur energischer, schärfer, dichter und zäher zu werden. Dafür sind wir Publizisten und stehen wir im Dienst der Öffentlichkeit. Unser Beruf hat in diesem Land der schneckentempofahrenden Instanzenzüge und der wabbeligen Parlamente ein unsichtbares Volkstribunat inne, wir verwalten ein unsichtbares Anklägertum, Richtertum und Verteidigertum.


aus: „Der Femeprozeß“, in: Weltbühne, 27. Dezember 1927

 

Ossietzky beim Betreten des Gefängnisses Berlin- Tegel, mit Rudolf Olden und Kurt Rosenfeld, 10. Mai 1932