März 1921


Militarismus

Das Kaiserreich ist an dem Militarismus zugrunde gegangen, den es selbst gezüchtet. Das Kaiserreich ist zugrunde gegangen an der militärischen Ideologie, die es so fleißig ausgestreut. Die erste Tat der Republik hätte es sein müssen: ein unzweideutiges Abrücken von dem Bannkreis jener Gedanken. Das ist nicht geschehen. Schlimm genug war es, dass man alte Formationen mit ihren reaktionären Führern geschlossen übernahm - schlimmer war es, dass man sich nicht frei machen konnte von der Vorstellung, ein moderner Staat brauche, um die Achtung der Welt zu genießen, eine starke Wehrmacht. […]

Die Republik hätte sich zu einem neuen Geist bekennen müssen. Sie hat es versäumt, als es Zeit war. Sie hätte einen Strich machen müssen unters Vergangene - und sie zog einen dicken, weithin sichtbaren Bindestrich. […]

Das ist die Quelle unseres Unglücks. Daß man nicht dem neuen Geist vertraute, der damals im November mit unseren Truppen ins Land kam, daß man den Blick nicht abwenden konnte von den Trümmern des Imperiums: das ist die Schwäche des neuen Systems, und davon lebt die monarchistische Reaktion. Deshalb wandelt heute die Republik schwankend auf schmalem Grat, und deshalb stehen ihr noch zwanzig bittere Jahre bevor.


aus: „Die Sünde der Republik“, in: Nie wieder Krieg, März 1921

 

 

Kundgebung „Nie wieder Krieg“ im Berliner Lustgarten, 31. Juli 1921, in der Mitte von vorn: Elsa Einstein, Ehefrau von Professor Albert Einstein; hinter ihr mit hellem Hut: Maud von Ossietzky; links die US-amerikanische Pazifistin Francis Neilson beim Verkauf der Zeitung „Nie wieder Krieg“