Auszug aus: „Ziviler Ungehorsam“ von Henry David Thoreau
(gelesen von Helmut Qualtinger, 1969):


„Ein allgemeines und natürliches Ergebnis dieses ungebührlichen Respektes vor dem Gesetz sieht man zum Beispiel in einer Kolonne von Soldaten: Oberst, Hauptmann, Korporal, Gemeine, Pulverjungen und alles, wie sie in bewundernswerter Ordnung über Tal und Hügel in den Krieg marschieren, wider ihren Willen, ja wider ihre gesunde Vernunft und ihr Gewissen - weshalb es ein recht anstrengender Marsch wird und beträchtliches Herzklopfen verursacht. Sie zweifeln nicht daran, dass es ein verdammenswertes Geschäft ist, mit dem sie sich da befassen; sie möchten alle friedlich sein. Aber was sind sie denn eigentlich? Sind sie überhaupt Männer, oder kleine bewegliche Verschanzungen und Waffenlager, und irgendeinem skrupellosen Menschen, der gerade an der Macht ist, zu Diensten?

Geht doch einmal zu einem Kriegshafen und seht euch einen Matrosen an, eine Art Mensch, wie nur die amerikanische Regierung sie zustande bringt, ein Ding, das sie mit ihren bösen Künsten aus einem Menschen macht - es ist nur noch ein Schatten und eine schwache Erinnerung von Menschentum, ein Mann, lebendig aufgebahrt und aufrecht, doch sozusagen schon unter Waffen begraben und von einem Leichenzug begleitet, obgleich es auch noch anders sein kann:

Kein Begräbnis, kein
Trommelgruß,
Als wir seinen Leichnam zu den
Wällen trugen.
Kein Soldat gab einen
Abschiedsschuss
Über dem Grab, in das wir unsern
Helden legten.


Die Mehrzahl der Menschen dient also dem Staat mit ihren Körpern nicht als Menschen, sondern als Maschinen. Sie bilden das stehende Heer und die Miliz, die Gefängniswärter, die Konstabler, Gendarmen etc. In den meisten Fällen bleibt da kein Raum mehr für Urteil oder moralisches Gefühl; sie stehen auf derselben Stufe wie Holz und Steine; vielleicht könnte man Holzmänner herstellen, die ebenso zweckdienlich wären. Solche Wesen flößen nicht mehr Achtung ein als Strohmänner oder ein Dreckklumpen. Sie sind nicht mehr wert als Pferde oder Hunde. Und doch hält man sogar solche Menschen gewöhnlich für gute Bürger. Andere, wie die meisten Gesetzgeber, Politiker, Advokaten, Pfarrer und Würdenträger, dienen dem Staat vor allem mit ihren Köpfen; doch weil sie selten moralische Unterschiede machen, könnten sie - ohne es zu wollen – ebenso wohl dem Teufel dienen wie Gott. Nur wenige Helden, Patrioten, Märtyrer, wirkliche Reformer und Männer dienen dem Staat auch mit dem Gewissen; sie werden gewöhnlich von ihm als Feinde behandelt. Ein Weiser wird immer nur als Mensch dienlich sein wollen, er wird sich nicht dazu hergeben, ‚Lehm‘ zu sein, um ‚ein Loch zu stopfen, um den Wind abzuhalten‘, sondern er wird diese Aufgabe dem Staub überlassen:

Zu hoch geboren bin ich,
um jemands Eigentum,
Der Zweite nur zu sein am Steuer,
Nützlicher Dienstmann und
Werkzeug
Für irgendeine Macht auf
dieser Erde.


Wer sich ganz seinen Mitmenschen hingibt, erscheint ihnen nutzlos und eigensüchtig; wer sich aber nur zum Teil gibt, wird zum Wohltäter und Menschenfreund erklärt. Wie also soll man sich heutzutage zu dieser amerikanischen Regierung verhalten? Ich antworte, dass man sich nicht ohne Schande mit ihr einlassen kann. Nicht für einen Augenblick kann ich eine politische Organisation als meine Regierung anerkennen, die zugleich auch die Regierung von Sklaven ist.“